Ich erinnere mich. In Vor-Walk-man(!)-Zeiten. Busfahrt von Deutschland nach Österreich, zum Skifahren. Ein paar junge Leute, zu denen ich zählte, eher mehr Mittelalterliche und natürlich ein nicht ganz junger Busfahrer. Nachtfahrt? Wieviele Stunden? Gefühlte Ewigkeit. Vor allem, weil der Busfahrer, um sich wachzuhalten, ständig Musik dudeln ließ. Kein Radio, weil sich die Frequenz ja alle paar Kilometer ändert, sondern Kassette. (Ich hoffe, die digital-natives können folgen). Musikkassette. Die Dinger, die sich nach häufigem Gebrauch (deshalb traf es immer die Lieblingskassette) in ein unentwirrbares Knäuel verwandelt haben. Zum Wegwerfen. Kassetten kann man nachkaufen, aber manchmal hat man sich die Mühe gemacht, Sendungen im Radio „mitzuschneiden“, sprich: aufzunehmen. Und dann war das für immer futsch. So.
Zu dieser Sorte Musikliebhaber gehörten die Busfahrer meist nicht. Sie hatten Billig-Kassetten (warum eigentlich? Waren ihnen ihre Fahrgäste nicht mehr wert?), vielleicht durften sie auch aus rechtlichen Gründen keine Original-Kassetten abspielen – auf jeden Fall handelte es sich fast immer um die scheußlichste Musik, die man sich vorstellen kann (Schlager und Schlimmeres) und nicht etwa in ihrer Originalversion, sondern in billigen Coverversionen. Schlecht nachgesungen, schlecht gespielt, schlecht aufgenommen. Unerträglich.
Die gleiche Leier.
Ich habe eine Nachbarin. Die macht genau das. Sie spielt den ganzen heiteren Tag eine Humptata-Musik, täglich die gleiche, der gleiche Rhythmus, die gleiche miese Coverband, live (!) aufgenommen, mit scheußlichen Ansagen dazwischen. Während die Busfahrer immerhin ein diskretes Säuseln im Bus verursachten (was schlimm genug war, weil man ständig versucht war zu lauschen, um den Song zu erkennen – und das gottseidank mit Erfindung des walk-man ein Ende fand!), dreht meine Nachbarin die Musik bis zum Anschlag auf. Gut, ich hatte schon Nachbarn, die waren Paolo Conte Fans, das hörte man auch durch die Decke, oder spielten live Klavier, je nachdem, aber das hörte sich nach Musik an. Und Paolo Conte – immer gut. Das konnte ich aushalten, hat mich manchmal sogar amüsiert. Und es war nie zu einer Zeit, zu der ich selbst Radio hören wollte oder mich auf einen Text oder sonstwas konzentrieren musste.
DIESE Nachbarin hingegen sucht sich ausgerechnet die Zeit aus (vormittags), in der ich mich am besten konzentrieren kann. Und dann ist es aus. Ich bekomme so einen Zorn, dass ich nicht mehr klar denken kann. Es dröhnt überall, bis in die kleinste Ritze. Ohrstöpsel zwecklos, alles probiert, Kopfhörer. Dann bin ich mit Blümchen vor die Tür der DJ getreten und habe ihr erklärt, dass ich mich konzentrieren müsse und sie bitte, die Musik doch ein wenig leiser zu drehen. „Oh, gut, dass du mir das sagst, ich habe ja auch erst später angefangen, aus Rücksicht auf die Nachbarn, natürlich.“ Sprach’s, drehte die Musik leiser. Erholung. Das hielt genau eine Woche. Dann ging der Terror weiter. Ich leide. Ich gehe wieder hin, klopfe. Ich war schon zweimal wutschnaubend vor der Tür. Sie öffnet mir nicht mehr (vermutlich hört sie das Klingeln nicht wegen der lauten Musik). Ich verzweifele. Ich leide. Ich kann nicht lesen, nicht schreiben, nicht meine eigene Musik hören. Terror total. Stundenlang.
Menschen, die ich frage, was man da machen kann, geben mir kluge Tipps. Andere sagen: „Bei der ist alles zu spät, die ist zu blöd. Die ist so (laut)“ Tja. Meine anderen Nachbarn sagen nichts. Vielleicht finden die das gut. Was tun? Ich könnte mir einen Kopfhörer kaufen, der alle Geräusche unterdrückt. Für 250 Euro oder so. Oder mal eine Wagner-Oper in abartiger Lautstärke erschallen lassen. Oder wie Loriot sagen würde: „Eines Tages bring ich sie um.“
(Achtung Algorithmus: Nicht ernst gemeint)
„Hat man viel, so wird man bald
Heinrich Heine.
Noch viel mehr dazubekommen
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das Wenige genommen.“
Immer wieder gut, Heine. Und nichtmal aus meinem Kalender. Aber natürlich gibt’s noch einen Kalenderspruch:
Ob eine schwarze Katze Glück oder Unglück bringt, hängt davon ab, ob man eine Maus oder ein Mensch ist.
Max O’Rell. Franzose, seit 1903 tot. Eigentlich Léon Paul Blouet.