Es war nicht klar, ob Yvonne trauerte oder einfach nur traurig war. Ihre Gesichtszüge waren schwer zu interpretieren. Aber es war deutlich zu spüren. Einsamkeit. Das Gefühl, das sich einstellt, wenn man alleine ist. Manchmal. Und bei manchen. Denn: Sich einsam fühlen kann man auch in Gesellschaft. Aber das war´s wohl nicht. So kompliziert war sie dann doch nicht gestrickt. Ihre ganze Körpersprache drückte es aus: Ihr fehlte ihr Partner. Sie waren jahrelang zusammen und nun war er weg. Sie verstummte nach und nach, kein freudiger Laut kam mehr aus ihrer Kehle. Sie fing an, sich selbst zu verletzen. Früher quatschte sie herum, diskutierte lautstark mit ihrem Lebensgenossen, auch wenn wir das nicht verstanden. Sie plapperte gerne nach, schien vergnügt. Jetzt sieht sie mich schräg von der Seite an, als wolle sie mir einen Vorwurf für ihre Situation machen. Sie nickt auffordernd mit dem Kopf. „He, du da, mach´ endlich was, siehst du nicht, dass es mir schlecht geht?“. Und dann ein Schrei, herzzerreißend. Ja. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Was sollte ich tun? Meine Versuche sie aufzuheitern, waren kläglich gescheitert. Soziale Wesen sind nunmal soziale Wesen. Und einen neuen Lebensgefährten herbeizaubern, konnte und wollte ich nicht. Meine Anwesenheit genügte ihr nicht, das stimmte auch mich traurig.
Bis ich mir Rat holte.
Die Lösung war ganz einfach. Da hätte ich draufkommen können. Aber irgendwie gingen die zwei Welten in meinem Kopf nicht zusammen. Technik und Tier. Manchmal ist es gut, jemanden um Rat zu fragen. In diesem Fall für uns beide. Also kaufte ich ein günstiges Tablet, richtete eine Verbindung zu einer Videokonferenz ein und los ging´s. Jetzt hatte sie Gesellschaft. Wenn auch virtuell. Sie konnte das Gerät selbst bedienen, ich staunte. Und sie plauderte in den Bildschirm hinein, hüpfte vergnügt herum und war nicht zu bremsen. Am anderen Ende der Leitung vergnügte sich ein Artgenosse. Er hieß Artur und lebte in der Tierhandlung. Loro, ein Papagei. Vielleicht tauschten sie gerade ihre Erfahrungen in dieser seltsamen Welt der Menschen aus, die trotz aller Annehmlichkeiten (Essen gratis) grausam war, obwohl die Menschen immer die beste Absicht beteuerten – und träumten von einer gemeinsamen Zukunft, Familiengründung und ein gemeinsames Leben im Dschungel. Den konnte man doch vielleicht als Hintergrund einstellen, oder?
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PS: Papageien (Grauer Loro, Kakadu) werden depressiv, wenn sie nicht unter ihresgleichen leben, alleine sind. Sie entwickeln seltsame Verhaltensweisen und psychische Störungen. Wissenschaftler:innen in den USA (um Rebecca Kleinberger) haben herausgefunden, dass Dreiviertel der 18 getesteten Tiere positiv auf Videokonferenzen reagieren. Wenn die/der andere aus dem Bild läuft, sehen sie hinter dem Gerät nach, wo sie/er abgeblieben ist. Nach einer Einführung konnten die Vögel die Chats selbständig starten, indem sie mit dem Schnabel das Tablet bedienten. Sie können auch Anrufe ablehnen (!) Sie plaudern und singen koordiniert. Das vermindert Stress und hebt die Stimmung. El País 6. Mai 2023.
Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.
Joachim Ringelnatz
Deshalb gleich hinterher der Buch-Tipp
Mariana Leky: Kummer aller Art. Dumont. (Ich finde keine Jahresangabe!?)
Es sind alles kürzeste Kolumnen, die in „Psychologie Heute“ erschienen waren.
Sehr zu empfehlen. Klug, witzig, toll geschrieben.