Ich habe keine Lust, weiter über Tourismus zu schreiben. Steigende Mieten, knapper Wohnraum, überfordertes und schlecht bezahltes Servicepersonal, Selfie schießende Tourist:innen, usw.
Ich habe auch keine Lust, über die absaufenden Migrant:innen vor der kanarischen Küste zu sprechen. Sie suchen gerade nach 48 Menschen, die beim Rettungsversuch ins Meer gefallen sind. 1000 m tiefer Atlantik. Nachdem sie zwei Tage ohne Essen und Trinken auf hoher See überlebt hatten.
Ich habe auch gar keine Lust, die Nationalratswahl in Österreich zu kommentieren.
Und noch weniger habe ich Lust, an die ganzen Kriege und das Morden zu denken. Ich verstehe immer weniger, wie man einfach so in Kauf nimmt, dass (ja, seien es Terroristen) Menschen (ja, es sind Menschen) gezielt getötet werden. Ohne Gerichtsverfahren und -urteil. Und die internationale Gemeinschaft applaudiert – oder schaut zumindest tatenlos zu.
Aus den 100 Psychotherapie-Sätzen („Die Zeit“, bereits erwähnt): „Lästige Gedanken können Sie genauso verjagen wie lästige Fliegen.“
Der Sessel.
Ich habe mich hier wohlgefühlt. Ich weiß noch, wie stolz ich darauf war, einen so ausgefallenen Leoparden-Sessel gefunden zu haben. Er war mein Lieblingsplatz. In ihm habe ich viele Stunden verbracht. Manchmal mit Fernsehen. Ein andermal mit Lesen. Oder einfach nur mit Dösen. Sitzen und entspannen. Die Schuhe habe ich ausgezogen, ein kleiner Schemel diente als Ablage.
Ab und zu bekam ich Besuch. Dann machten wir es uns gemeinsam gemütlich. Bei einem Gläschen. Doch nach und nach nahmen die Besuche ab. Manche zogen weg, andere gingen einfach nicht mehr aus dem Haus – zu bequem, zu ängstlich, zu alt. Die Knie machten nicht mehr mit, das Kreuz tat weh. Alles zu anstrengend. Und worüber sollte man sich unterhalten? Es passierte ja nichts. Einige verabschiedeten sich von dieser Welt. Manche hinterließen eine Lücke. Diese Lücken wuchsen wie meine Gedächtnislücken. Lesen? Ach, ich sehe ja nicht mehr gut. Fernsehen? Nee, es gibt meist nichts Interessantes. Spazierengehen? Wohin denn. Die Wanderschuhe stehen parat. Als Zeugen vergangener Tage. Und Autofahren – zu anstrengend.
Also saß ich da. Und saß. Saß und wartete. Worauf? Keine Ahnung. Auf ein Wunder. Auf Besuch. Auf das Ende. Ich verschmolz langsam mit meinem Sessel. Die Gedanken kreisten und kreisten. Der Kreislauf. Dann schloss sich der Kreis. Greis.
(Ende der Geschichte. Die Auflösung folgt demnächst …)
Wien ist voller Touristen. Bestimmte Lokale vergeben „time-slots“. Je nach Konsumation läuft die Zeit ab und dann wird man hinausgeworfen. Time out. Der Nächste, bitte! Die Zeiten, wo man im Kaffeehaus drei Stunden bei einem kleinen Braunen sitzen konnte und die internationalen Zeitungen studieren, sind wohl vorbei. (Nagut, nicht überall). Vor dem Café Central stehen stetig lange Schlangen. Was steht da in den Reiseführern, dass JEDE/R da rein muss? (Ach, bin ich blöd, nicht Reiseführer, Instagram!). Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, wie die BesucherInnen abgefertigt werden. Gemütlich kann das nicht sein. Die meisten Länder kennen ja Gemütlichkeit nicht (nichtmal das Wort). Und bei uns geht dieses spezielle Lebensgefühl gerade flöten.
Geht man in ein Geschäft (ich war in einer Parfümerie im 4.), wird man auf Englisch angesprochen (wie übrigens fast überall in Berlin, vor allem in den Kneipen/Restaurants). Die Verkäuferin war aber sehr erleichtert, als ich ihr auf Deutsch antwortete. Tourismus kann auch anstrengend sein.
Wie ist das? Gehen dann die „Einheimischen“ (wie das klingt) weniger aus? Oder nur in die Randbezirke? Es wird zudem alles teurer. Durch die Medien geistert öfter das Wort „Tourismus-Phobie“. Vor allem in Mallorca stinkt es den Menschen, die dort leben, dass alles teurer wird, die Wohnungen nur noch zu horrenden Preisen kurzfristig an Urlauber vergeben werden und alles überall überfüllt ist. Übertreibung?
Spanien meldet einen Besucherrekord nach dem anderen.
Die Daten. Auf den Balearen sind die Mietpreise von 2011 bis 2024 um 100% (!) gestiegen. Heißt: die Mieten haben sich verdoppelt. (Bitte mal selbst auf die eigene Miete anwenden, sofern man zur Miete wohnt). In Madrid 40%, in Malaga 60% (El País 28.7.24). Der Quadratmeterpreis für Wohnungen in Malaga ist von € 1.515 im Juli 2014 auf € 3.016 Euro im Juni 2024 gestiegen (113%). Angeblich haben zwischen 2015 und 2020 über 36.000 Personen unter 40 Jahren Malaga verlassen. Weil sie sich die Stadt nicht mehr leisten konnten. (?) Fast die Hälfte des Einkommens geht für die Miete drauf. Dafür gibt es über 12.000 Ferienwohnungen, sogenannte viviendas vacacionales – für Touristen.
Im El País Semanal (28.7.24) wird ein Beispiel angeführt. 2014 machte Javier Serrano, ein Fotograph aus dem Baskenland, ein Foto von einem idyllischen, verlassenen Strand auf Mallorca, Caló d’es Moro. Weißer Sand, türkises Wasser, Felsen. 2018 lud er das Foto auf Instagram hoch unter dem Namen Yosigo. 2020 kam eine Ausstellung in Südkorea dazu, weitere „influencer“, die Sache bekommt Dynamik im Internet. Heute pilgern Touristen aus aller Welt an diesen mittlerweile überfüllten Strand, um ein Foto zu machen.
2023 kamen 85 Millionen internationale Touristen nach Spanien. 2 Millionen mehr als vor der Pandemie, 2019. Dieses Jahr rechnet man mit 90 Millionen. Das ist doppelt soviel wie Spanien Einwohner hat. Nur von Januar bis Mai ist die Ziffer um 11,5% gestiegen. Aber nicht nur die Besucher werden mehr, auch die täglichen Ausgaben der Touristen steigen (8,6%). Das liegt u.a. an den gestiegenen Preisen. Ein Artikel im Wirtschaftsteil der El País (4.8.24) erklärt das so: 1. konnten die Leute in der Pandemie kein Geld ausgeben, haben also was gespart und 2. glauben viele, die „verlorene“ Zeit/den entgangenen Urlaub nachholen zu müssen. Reisen/Urlaub habe eine andere Priorität gewonnen – es werde lieber auf andere Dinge (Kleidung?) verzichtet …
Wo ist die Grenze für den Massentourismus? Einmal sind da die Auslastungen der Hotels, der Unterkünfte und die Kapazitäten der (vor allem) Flughäfen. In manchen Gegenden kollabiert der öffentliche Verkehr (Busse in Mallorca oder auf den Kanaren sind chronisch überfüllt) und zum anderen der Unmut der Menschen, die in Tourismus Hotspots leben. In Barcelona will man die Ferienwohnungen verbieten, woanders führt man Tourismussteuern ein.
Außerdem wird der Tourismus zunehmend unabhängig von der Jahreszeit (entsaisonalisiert). Das hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. Regionen, die früher nicht attraktiv erschienen wegen des „schlechten Wetters“, werden jetzt plötzlich interessant (zum Abkühlen).
Und dann die Migration …
Kaum landet ein Flüchtlingsboot in Lampedusa, wird das in den Medien gemeldet. Auf den Kanaren sind zwischen 1. Januar und 15. Juli 2024 genau 19.793 Migranten „angeschwemmt“ worden, 160% mehr als im Vorjahreszeitraum. Davon spricht niemand. Ich möchte nicht wissen, wie hoch die Ziffer derjenigen ist, die es nicht bis auf die Inseln geschafft haben.
Neulich (7.8.24) gab´s die Nachricht, dass in der Dominikanischen Republik ein Flüchtlingsboot mit 14 halbverwesten Leichen anlandete. Migranten aus Somalia und Mali, die mindestens fünf Monate unterwegs waren (also, das Boot). Kein Sprit, nichts zu essen, nichts zu trinken. Wenn sie die letzte kleine Kanareninsel (El Hierro) verpassen, war´s das (wenn sie nicht entdeckt und gerettet werden). Sie starten meist in Mauretanien und werden von den Schleppern nur mit dem Nötigsten ausgestattet.
Solche Fotos schaffen es auf die Titelseite der El País. Die Kanaren streiten mittlerweile mit dem Festland und der EU, wer die 5.000 unbegleiteten Minderjährigen, die nicht zurückgeschickt werden dürfen, betreuen soll. Großes Politikum.
Trotzdem:
Lachen ist eine körperliche Übung von großem Wert für die Gesundheit.
Aristoteles
Buch-Tipp
Wilhelm Genazino. Bei Regen im Saal. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2014. 158 Seiten.
Manchmal liegen Bücher so herum und warten auf den richtigen Zeitpunkt. Ich bin großer Fan von Wilhelm Genazino und trotzdem war das kleine Büchlein lange in der Warteschleife. Jetzt habe ich es endlich gelesen. Bei Regen im Saal. Ist aus 2014 (2018 ist er gestorben). Es gibt niemanden, der Alltäglichkeiten in so geschliffene Sätze packen kann. Man denkt, es geht um nichts und merkt dann, dass es eigentlich um tiefgreifende Themen geht. Verwahrlosung (geistige und körperliche), gesellschaftliche Anerkennung (Äußerlichkeiten), berufliche Karrierechancen-/wünsche (muss ich was werden?), Beziehungen zwischen Mann und Frau, Altern, Verfall.
Ich weiß nicht, wann er das geschrieben hat, aber 2014 war er 75. Der Protagonist (übrigens „Überwinder“) ist Mitte 40 oder so … Man merkt aber die Perspektive des (wirklich?) alten G. Ich muss zwar immer wieder lachen über seine Gedanken und die Lektüre ist anregend, aber als Stimmungsaufheller kann man sie nicht verwenden.
Beispiele:
„Ich wollte über nichts nachdenken, machte mir aber trotzdem Gedanken, warum mir Gelassenheit manchmal gelang und manchmal nicht.“ S. 5
„Ich fühlte mich allmählich alt und zunehmend unfähig, meine Probleme zu lösen. Ich nannte sie meine sogenannten Probleme, um über sie besser lachen zu können. Ich wollte meine sogenannten Probleme nicht einmal mehr untersuchen.“ S. 33
„Beatrix kannte ich aus der Zeit, als Frauenretten noch eines meiner Hobbys war.“ S. 34
„Nächste Woche würde ich die Dame treffen, die ich im Theater kennengelernt hatte. Sie hatte mir gestanden, dass sie an Kultursucht litt. (…) Die Dame war vermutlich ein harter Fall wie die meisten, die mit Kultur zusammenhingen.“ S. 47 f
Am 12. Juli war ein Artikel in der ZEIT (online) mit 100 Sätzen, die Klienten aus der Psychotherapie „mitgenommen“ haben. Einer davon: „Depressionen sind der Dank für jahrelanges Artigsein.“ Man könnte alle zitieren. Ist schon die halbe Therapie …
„What can you paint that isn´t ridiculous from the outset?” Übersetzt mit: Was kann man schon malen, das nicht von vorneherein lächerlich ist? Roy Lichtenstein
Roy Lichtenstein, AlbertinaKrebs, ZP, kein Lichtenstein
Punkte. Lächerlich? Eben.
TaBu. Tagebuch.
Ist es interessant zu wissen, was man vor 10 oder 20 Jahren gedacht hat? Wikipedia sagt: „In einem Tagebuch werden Erlebnisse, eigene Aktivitäten, aber auch Stimmungen und Gefühle aufgezeichnet. Es ist ein Medium der Selbstvergewisserung und zeichnet sich durch einen hohen Grad an Subjektivität aus. Die Bewertung von Ereignissen und Gedanken ist oft unsicher; häufig klärt sie sich erst auf längere Sicht.“
Selbstvergewisserung also. Insofern interessant. Manchmal bedauere ich es, dass ich nicht ein regelmäßiger Tagebuchschreiber bin. Bei mir heißt die Abkürzung für Tagebuch TaBu. Und wenn ich einen alten Text ausgrabe, wundere ich mich, was ich „damals“ gedacht oder gefühlt habe. War ich dieselbe Person? Bin das ich? Muss man sich ständig selbst vergewissern, dass ich ICH bin? Sind wir zu selbstreflexiv? (Es gäbe so viel anderes zu tun …)
Wiki weiter:
„Studien haben gezeigt, dass das Schreiben von Tagebüchern einen heilenden Effekt haben kann, besonders bei der Verarbeitung negativer Erfahrungen. Dies wird durch das Freigeben verborgener Gefühle bewirkt oder indem der Schreiber eine andere Perspektive zu dem Problem einnimmt. Das Tagebuchschreiben wird auch als therapeutische Methode eingesetzt (Schreiben als Therapie, Poesietherapie).“
Ich habe folgende Aufzeichnung gefunden, 13 Jahre alt. TaBu. Thema Bügelbrett. Subthema Auswandern. Oder Kunsumverhalten?
Das Bügelbrett
Ich werde meine Bügelbrett-Misere beenden, habe ich beschlossen. Kurzerhand in Teneriffa. Ich habe in Wien ein miserables Bügelbrett, billig, geflickt, das in die Blusen Kreise einbügelt (vom Flicken) und hier in La Gomera ein Bügelbrett, wo man auch sofort auf dem Metallraster herumbügelt, beim Hochschieben sich die Stoffe aufreißt und beim schwungvollen Bügeln das ganze Brett zu Fall bringt, inklusive Bügeleisen, das jetzt irgendwie in Kleinteile zersplittert ist. Jetzt ist Schluss damit. Ich will endlich bügeln mit Spaß.
Auf der anderen Seite bin ich immer (und war es immer) zu geizig, teures, hart verdientes Geld für so einen Unfug wie Bügeln auszugeben. Heute kosten ja die High-Tec-Bretter 1.000 Euro – nur, damit irgendein T-Shirt nicht ganz zerknautscht aussieht? Das ist eindeutig zuviel. Diese Billigteile, die sich sofort zerlegen, kosten 20 Euro, 100 Euro ist mir zuviel (da gehe ich lieber schön essen, sorry), aber 50 Flocken für ein angenehmes Brett, das ist in Ordnung.
Ich kaufe das Teil („Vileda“, auch noch Markenware!) in einem großen Kaufhaus, für 50 Euro (für mich ein Vermögen) und stelle dann fest, dass das Ding nicht in meinen Fiat Panda (auch nur geliehen) passt. Das Bügelbrett ist zu lang, der Panda zu kurz. Ich schiebe es schräg hinein, da müsste ich mit offenem Fenster fahren – auf der Autobahn? Ich lege es über die Sitze (wie kriegt man eigentlich diese Nackenstützen weg?), da sehe ich nichts mehr im Rückspiegel. Aber nach einer halben Stunde Rumwurschteln auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums fahre ich einfach los.
Bügelbrett schaut lustig zum Seitenfester raus, dafür sehe ich null im Rückspiegel. Das Gefühl auf der Autobahn wird langsam mulmig, also fahre ich irgendwo raus und regele mein Bügelbrett. Es ging wunderbar. Bis zur Fähre in Los Cristianos, auf der Fähre, überall, Autobahn. Bis ich nach La Gomera kam – und da den kurvenreichen Weg in den Norden vor mir hatte. Kurz nach dem Tunnel in einer Kurve löst sich das Bügelbrett (wovon eigentlich?) und knallt mir an den Kopf. Es war ja gut gedämpft und so wurde ich nicht bewusstlos, sondern hielt das Ding in jeder Kurve, die geneigt war, das Brett in meine Richtung zu transportieren, fest. Zwölf Kilometer. Einhändig fahren? Kein Problem. Abends um 8 ist kein Schwein mehr unterwegs. Alle Kneipen sind schon zu. Das war´s.
Das Bügelbrett habe ich noch nicht ausprobiert. Ich hoffe, es ist okay. Vor den vielen Staubsaugern stand ich fassungslos. Echte Überforderung.
Ende der Geschichte. Sofern es eine ist.
Was sagt das über mich? Eine Menge (könnt ihr selbst interpretieren). Was lerne ich daraus? Dass sich die Preise verändert haben. Dass sich mein Zustand zu den Preisen verändert hat. Dass man sich heutzutage die Sachen schicken lässt. Sofern das geht. Dass ich nach wie vor Bügeln für einen Unfug halte, aber immer noch bügele. Wichtig. Oder?
Ich nehme an, das ist nicht der Grund, warum es ein Tagebucharchiv gibt. Wiki:
„Am 14. Januar 1998 wurde der Verein Deutsches Tagebucharchiv e. V. gegründet. Einsender aus ganz Deutschland schicken nicht nur Funde aus Nachlässen, die bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zurückreichen, ins Deutsche Tagebucharchiv nach Emmendingen. Es treffen auch regelmäßig vielfältige Aufzeichnungen von Zeitgenossen ein.“
Logiker. Wie schön. Habe ich erst kürzlich entdeckt und dachte mir: Wieso Logiker? (Das ist das, was heute ein bisschen fehlt). Aber Wiki klärt auf mit einer „Liste aller biografischen Wikipedia-Artikel über Logiker. Logiker sind Personen, die einen eigenen Beitrag zur Entwicklung von methodischem Denken (Logik) geleistet haben. Diese Liste ist notwendig, da die Menge aller bedeutenden Logiker nicht nur eine Untermenge der Menge aller Mathematiker ist, sondern auch Philosophen und Scholastiker umfasst.“
Nagut, wenn dem so ist. In dieser Liste habe ich Kurt Gödel nicht gefunden, wenngleich er in der Wiki-Beschreibung auch als Mathematiker, Philosoph und Logiker vorgestellt wird. Besonders schön finde ich, dass er den „Unvollständigkeitssatz“ erfunden hat. Unvollständige Sätze gibt es ja heutzutage zuhauf (das ist ein Witz!). Soll sagen: In entsprechenden Systemen (ich kürze ab) gibt es Aussagen, die man formal weder beweisen noch widerlegen kann. Auch sehr aktuell.
Kannte ich nicht. Ich bin erst bei einem Artikel aus der El País drauf gestoßen. Da heißt es, dass „jolodomor“ (in Abwandlung von Holodomor) Töten durch Erfrieren, als Kriegswaffe in der Ukraine eingestetzt werde (Infrastruktur zerstören, Heizungen fallen aus …).
Das ist eine Anspielung auf den „Holodomor“ (Hungertod) in der damaligen Sowjetunion. Zwischen 1932-33 hat man Millionen von Ukrainern bewusst verhungern lassen. Verschiedene Schätzungen schwanken zwischen 3 und 7 Millionen Toten. Natürlich wurde die Erinnerung daran (und an andere stalinistische Verbrechen) lange Zeit unterdrückt, untersagt, verdrängt. Jetzt, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, gelangt der Holodomor wieder ins Bewusstsein der Ukrainer.
Missernte, Zwangskollektivierung und Deportation – um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Gerne nachzulesen bei Wikipedia. Und dann das schwierige Wort Genozid. Das Dritte Reich hat sechs Millionen Juden auf dem Gewissen. Nur so zum Vergleich. (Damit will ich nichts verharmlosen, nichts beschönigen, keine Partei ergreifen, niemanden angreifen – das muss man ja heute dazusagen). Jede/r Tote tut weh.
Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne seine Begeisterung zu verlieren.
Winston Churchill
Solastalgie.
Wie die Menschheit mit der Welt umgeht, macht Angst. Nämlich: Solastalgie. Man darf Angst vor dem Klimawandel haben, sagt dem Spiegel die Psychologin Nadja Hirsch. Gründerin des Instituts für Klimapsychologie in München. Noch ist das keine anerkannte Krankheit (und es gibt kein Medikament!), weil die Symptome wohl sehr individuell sind … Ein Fall für die Therapeuten. Wie so viele.
Nachtrag zur Sinnsuche. Hat das jemand gelesen? Ein Buch von Ingo Hamm. „Sinnlos glücklich: Wie man auch ohne Purpose Erfüllung bei der Arbeit findet“ (2021).
Es taucht ständig der japanische Begriff igikai auf. In einem Zeit-Interview erklärt die Psychologin Katharina Stenger igikai;
Stenger: Das Wort „Ikigai“ lässt sich einteilen in „Iki“, was „Leben“ bedeutet. Gemeint ist hier das Leben im Ganzen, aber auch das alltägliche Leben. „Gai“ lässt sich mit „Wert“ übersetzen. Ikigai kann sowohl „wertvoll leben im Alltag“ als auch „Sinn des Lebens“ bedeuten. Die Menschen in Japan meinen damit das, was unser Leben lebenswert macht, oder das, wofür wir morgens aufstehen. Dies zeigt schon, dass Ikigai sowohl den ganz großen als auch den kleinen Sinn meint, den wir im Alltag finden können. Das ist das Schöne, denn dadurch wird dieses schwere Wort „Sinn“ für Menschen greifbar. Zitat Ende. Nämlich: Der Sinn des Lebens.
Also: warum soll man morgens (oder wann auch immer) vom Bett aufstehen? Hat das was mit der Frage zu tun „Wer bin ich?“, nach dem Motto: Was mache ich hier? Und für wen? In der Küchenpsychologie im El País Semanal (21.3.2024) werden drei Stufen vorgeschlagen: Selbstkenntnis, Erkundung (Suche?), Versuch und Irrtum. Selbst(er)kenntnis: Wofür tauge ich? Was kann ich der Welt (!) anbieten? Sprich: habe ich ein spezielles Talent? Suche: Etwas unternehmen, Erfahrungen machen, Gespräche führen, an Projekten teilnehmen usw. Sinn kommt nicht von allein, man kreiert ihn. (Sagt übrigens auch der gute Herr Lesch.) Versuch und Irrtum: Einfach solange suchen, bis einem ein Licht aufgeht. Ausschlussverfahren: wissen, was man nicht will – zu dem kommen, was man will.
Beispiel: Es fehlt an Freundlichkeit in der Welt. Also, wie kannst du dazu beitragen, dass die Welt freundlicher wird? (Küchenpsychologie wäre ja nicht Küchenpsychologie, wenn sie nicht derart nützliche Tipps geben würde). Dazu brauchen wir das WAS, das WIE und das WARUM (nach Simon Sinek, Autor und Unternehmensberater, sprich: business-coach). Diese drei Fragen sollte man kurz und knapp beantworten können. Wenn man das Warum nicht rauskriegt, muss man woanders suchen.
Und vielleicht dauert die Suche ja ewig an. (Meine ich). Autor der Küchenpsychologie in der El País: Francesc Miralles (escritor y periodista experto en psicología). Soweit, sogut. Aber ich wollte mich ja eigentlich dem Thema Sinn in der Arbeit widmen. Purpose! (In aller Munde).
Sinn (in) der Arbeit
Da heißt es dann „purpose“. Klar. Man gibt Sinnsuche bei Mr. Google (oder wem auch immer) ein und es kommt ein Video über „purpose im Job“. Und natürlich noch jede Menge. Man könnte sich tagelang durchwühlen. U.a. untersucht auf Terra X (ZDF) Harald Lesch den Sinn des Lebens (interessant, Sendung vom 23.4.23, Was ist der Sinn des Lebens?). Er sagt, heute könne sich jeder seinen Sinn selbst erschaffen (s.o.) und es gäbe viele Antworten auf die Frage. Hauptsache, man sucht.
„Die Zeit“ (online) titelt: „Selbstverwirklichung im Beruf Zu viel Sinn macht krank Die Arbeit ist erfüllend, der Job ein Ort für Selbstverwirklichung? Wer das glaubt, erwartet von seinem Beruf meist mehr, als dieser liefern kann.“ (Autorin Katrin Wilkens, 28.2.24, DIE ZEIT 10/24) Übrigens sehr lesenswert.
Sie sagt: „Sinn ist das große Versprechen von New Work [https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/sinn-von-arbeit-wirtschaftspodcast], der dominierenden Arbeitsplatzideologie der jüngeren Vergangenheit.“ Sie zitiert die vielen Kalendersprüche. Dazu passt mein Lieblingsposter (tausendmal gepostet).
Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen nehmen zu. Katrin Wilkens dazu: „Vielleicht hat der massive Anstieg der seelischen Belastungen auch damit zu tun, dass viele Betroffene es in ihrem Kopf einfach nicht zusammenkriegen: dass die stumpfsinnige Alltagsroutine ihres Jobs im Büro, an der Werkbank oder im Lager angeblich Sinn stiften soll. Oder sie erfüllt. Schlimmstenfalls: sie als Menschen überhaupt erst definiert.“
Sie meint, den Sinn des Lebens hätte noch niemand überzeugend erklärt, aber den Sinn der Arbeit wollen alle kennen und legten ihn im „mission statement“ des Unternehmens fest. „Purpose“ kostet erstmal nichts. Und wenn man die Mitarbeiter:innen mit Sinn entlohnen kann anstatt mit Geld, wird es eben billiger. Zitat Wilkens: „Kurz: Wenn Sinn und Geld erst einmal gleichberechtigt nebeneinanderstehen, kann man seine Leute eben auch in Sinn bezahlen. Eine Zeit lang werden sie das mitmachen. Bis sie irgendwann erkennen, dass sie den versprochenen Sinn nicht finden – und dann an ihrer Tätigkeit oder gleich an sich selbst verzweifeln.“
Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille.
Kurt Tucholsky
In diesen Zusammenhang passt „the great resignation“ in den USA: Millionen Arbeiter:innen kündigen am Ende der Pandemie, weil sie nicht sehen, dass sie etwas dazu beitragen können, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Diese Kündigungswelle schwappte wohl auch auf andere Länder über.
Eine Quelle des ständigen Unzufriedenseins sei, so Wilkens, die permanente Gleichzeitigkeit der Aufgaben. Lösung: eins nach dem anderen machen. „Purpose“ löst die Sinnfrage aus (Stress!), ebenso wie die Glückssuche, wie ICH meine (oh Gott, bin ich glücklich?) – der Vorschlag der Autorin: das Wort purpose durch Freude zu ersetzen. Klingt schon halb so anstrengend. Und dann natürlich die Frage: Was macht mir Spaß/Freude?
Sisyphos
Auf der Plattform XING werden verschiedene Ansätze präsentiert, wie man einen Sinn (in der Arbeit) finden kann. Dort heißt es: „Offenheit für neue und sogar spirituelle Ansätze sind auf dem Vormarsch.“ Die Erklärung wird auch mitgeliefert: „Wenn Menschen das Gefühl haben, sich nur noch auf ihre inneren Werte verlassen zu können, weil im Außen so vieles instabil erscheint, dann fragen sie automatisch: „Macht es für mein Leben Sinn, was ich hier tue? Entspricht meine Arbeit meinen moralischen Werten und dem, wofür ich einstehen will?“ Der Wunsch, den eigenen Selbstwert zu stärken, ist eine Reaktion auf die Krisen im Außen.“ Die Jungen (ab 25) legen angeblich bei der Arbeitssuche Wert auf: 1. Unabhängigkeit. 2. Flexibilität/Spaß und 3. Sinn. Also dann: viel Spaß!
Für Wunder muss man beten, für Veränderungen aber arbeiten.
Es gibt bestimmt freundlichere Oster-Cartoons. In meinen kommt immer „Arsch“ vor. Man sagte mir, es gäbe Schokoladenmangel. Der größte Schokolieferant in Afrika habe Lieferprobleme. Schokolade – das neue Gold? Gab es deshalb gestern in dem Regal, in dem die Milka-Schokoladen liegen, nur noch leere Schachteln? Und keinen einzigen Osterhasen? Ostern ohne Schokohase? Und kein Schokoei in Sicht, nur die Hühnereier …
Glück und Sinn. Zwei große Irrtümer.
Das letztemal war Glück auf dem Programm. Ergänzend zu den vielen Glücksreporten (reports?) … Ach ja, angeblich kennen die Finnen keinen Neid und schätzen das soziale Miteinander!
Und, schon im Dezember 2023, hatte ich mir notiert: Laut einer vom „Independent“ veröffentlichten Umfrage von Eurostat sind die Österreicherinnen und Österreicher die glücklichsten EU-Bürger. Da landen die Finnen nur auf Platz 2. Bei der Bewertungsgrundlage, die die „Indikatoren für Lebensqualität“ misst, erreichte Österreich 7,9 von zehn möglichen Punkten. Österreich verwies damit Polen, Rumänien und Finnland auf den geteilten zweiten Platz, die jeweils alle 7,7 Punkte erreichten. Es folgten: Belgien, die Niederlande, Dänemark, Slowenien und die Tschechische Republik. Die großen Volkswirtschaften Italien, Spanien und Frankreich bewegten sich mit 7,1 Punkten im Mittelfeld des Rankings. Besonders Deutschland fällt jedoch bei der Studie als unglücklicher Staat auf. Die nördlichen Nachbarn landeten vor Bulgarien auf dem vorletzten Platz. (Aus österreichischer Sicht geschrieben, offensichtlich mit einer gewissen Schadenfreude)
Sinnig
Ich möchte mir hier nicht anmaßen, über den Sinn des Lebens zu sinnieren (ich glaube, es gibt keinen;). Ich habe nur festgestellt, dass man mittlerweile nicht nur den Sinn des Lebens (wie das Glück, vergeblich) sucht, sondern auch den Sinn und die Erfüllung im Job. Purpose ist das (neue?) Schlagwort. Gibt es deshalb überall Personalmangel? (Spaß! – oder doch nicht?). Wenn ich das Thema klar habe, geht´s weiter …
Erstmal frohe Ostern!
„Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.“ Ludwig Erhard
Heute werden offensichtlich Kompromisse geschlossen, wo jeder das Gefühl hat, er sei um seinen Teil beschissen worden. Dabei sind die Kuchen oft viel größer als damals …
Schonmal was von „Nikomachischer Ethik“ gehört? Ich nicht. Bis jetzt. Kreist irgendwie um Aristoteles. Der meinte ja, um Glück zu empfinden, müsse man folgende zehn Tugenden entwickeln/praktizieren:
Im World Happiness Report 2023 (Daten von 2022) belegen die Finnen Platz 1 (natürlich gibt es auch andere Glücksrankings, die andere Kriterien zugrunde legen), Deutschland liegt auf Platz 16, Österreich auf Platz 11. (Israel auf Platz 4!, gut, vor dem Krieg …), die Niederlande auf 5. Saudi-Arabien (30) liegt vor Spanien (32) und Italien (33). Hä? Ich fürchte, die nikomachische Ethik ist überholt …
In einem Artikel der El País (schon vom 18.2.24) schreibt Daniel Mediavilla, dass Glück, jenseits von Einkommen, mit Gemeinschaftssinn, einer nahen Verbindung zur Natur und einer tiefen Spiritualität zu erklären ist. (Er spricht vor allem von indigenen Völkern).
Geld macht nicht glücklich. (Legt aber, wenn man keinen Mangel hat, den Grundstein für Zufriedenheit). 70% der Lottogewinner (Untersuchung USA) sind fünf Jahre danach finanziell ruiniert. Mehr als Geld zählen soziale Kontakte, Familie und Gesundheit. Geben ist seliger als Nehmen (macht glücklicher), wobei ja oft die mehr geben, die weniger haben als die, die mehr haben (obwohl sie sich ja glücklicher machen könnten und es einfacher ist einzuladen, wenn der Geldbeutel voll ist) … Ich schweife ab.
Ebendieser Mediavilla zitiert im Artikel Marino Pérez von der Psychologie-Akademie in Spanien, der meint, dass Glück etwas sehr Subjektives sei … und (frei übersetzt): Die ständige Suche nach dem Glück ist einer der Gründe für mentale Probleme der westlichen Gesellschaften und der neuen Generationen. Glückssuche ist eine unlösbare Aufgabe. Denn das Glück erkennt man erst nachträglich. Und dann sollte man sich erinnern, dass man glücklich war, auch wenn man es nicht gewusst hat.
Robert Waldinger (wer immer das ist): Das ständige Suchen nach dem Glück macht unglücklich.
Problematisch sei die öffentliche Darstellung von dem, was viele Menschen unter Glück verstehen. Glück werde oft wie ein Preis gesehen, den man sich erarbeiten oder gewinnen kann und dann sein Leben lang behält. „Natürlich funktioniert das so nicht“, sagt Waldinger.
*** Vom Glück zum Sinn … später. Jetzt erstmal Unsinn:
Selbst ist die Frau: Selbstgespräche sind gesund. Das habe ich ja schon oft zitiert. Sie helfen sich etwas zu merken und reduzieren Stress. (Quelle: Radio). Am besten ist es, wenn man in der dritten Person spricht, um eine emotionale Distanz zu halten. Ich spreche mich meist mit meinem Nachnamen an.
Und dann noch Prof. Stefan Kölsch: Die dunkle Seite des Gehirns. Wie wir unser Unterbewusstes überlisten und negative Gedankenschleifen ausschalten. Ullstein extra, 2. Auflage 2023, rund 350 Seiten (ohne Anhang gerechnet). Bisschen merkwürdig, wenn ein Autor sich Professor im Titel nennen muss 😉 Und ein bisschen schulmeisterlich, die Tipps.
Das meiste kennt man – trotzdem ist es gut, sich ab und zu klar zu machen, wie der Mensch funktioniert und wie die vermeintliche Schaltzentrale arbeitet. Und wie nützlich es sein kann, ab und zu den Verstand einzuschalten (was offensichtlich völlig aus der Mode geraten ist).
Auf Seite 58 steht zum Beispiel:
„Unsere Sinnesorgane nehmen jede Sekunde eine unvorstellbar große Menge an Informationen auf: circa eine Milliarde Bits, das entspricht der Information von 125 Büchern. Von dieser Menge an Informationen filtert das Gehirn zunächst über 99 Prozent heraus. Es verarbeitet lediglich drei Millionen Bits weiter, das sind etwas weniger als 200 Buchseiten pro Sekunde. Diese Informationen werden größtenteils unbewusst verarbeitet, bewusst wird uns davon wiederum nur ein winziger Teil: etwa 100 Bits, das entspricht einem kurzen Satz mit zwölf Zeichen. Es kann aber auch weniger sein.“
Zwölf Zeichen. Das waren jetzt aber mehr. Was ist ausgefiltert worden?
Louisianamoos. Muss man haben.
Der liebe Professor erklärt in dem Buch, warum uns das Unterbewusste (er nennt das bewusst so in Abgrenzung zu Sigmund Freud) krank machen kann oder zu falschen Entscheidungen/Einschätzungen verleitet, warum wir so schwer etwas hergeben können, wenn wir es einmal haben (Materielles ebenso wie Meinungen) und warum wir so leicht manipulierbar sind. Wir tendieren dazu, uns der Gruppe/Sippe anzupassen und können schwer mit Veränderungen umgehen. Wir können sogar falsche Erinnerungen von Erlebnissen, die nie stattgefunden haben, abspeichern.
Immerhin macht Mut: „Tatsächlich sorgt das Unterbewusste stets dafür, dass die Einstellung folgt, sobald man sein Verhalten ändert.“
Und einen Tipp hat der Professor auch für uns. „… ist der vielleicht wichtigste Tipp dieses Buches: Akzeptieren Sie sich bedingungslos als würdevollen, vollwertigen Menschen.“
In diesem Sinne …
Ich achte nicht auf die Vernunft. Die Vernunft empfiehlt immer das, was andere gerne möchten.
Sollen bestimmte (Werte, hätte ich beinahe gesagt) „Dinge“ nicht untergehen: Weitsicht, Solidarität, Verstand, Humanität, Warmherzigkeit, Verbindungen, Verständnis, Verzeihen, die Erde und und und … Darauf trinke ich. Prosit Neujahr 2024!