Ver(w)irrungen.

Der Geist.

Also, ich habe mal wieder was gelesen (obwohl ich eigentlich dachte, dass ich dazu gar keine Zeit hatte). Unter anderem Judith Hermann: Daheim. Roman. Tischer TB, 3. Auflage 2023, © 2021; 189 Seiten. Schönes, rätselhaftes Buch.

Und dann noch Prof. Stefan Kölsch: Die dunkle Seite des Gehirns. Wie wir unser Unterbewusstes überlisten und negative Gedankenschleifen ausschalten. Ullstein extra, 2. Auflage 2023, rund 350 Seiten (ohne Anhang gerechnet).
Bisschen merkwürdig, wenn ein Autor sich Professor im Titel nennen muss 😉
Und ein bisschen schulmeisterlich, die Tipps.

Das meiste kennt man – trotzdem ist es gut, sich ab und zu klar zu machen, wie der Mensch funktioniert und wie die vermeintliche Schaltzentrale arbeitet. Und wie nützlich es sein kann, ab und zu den Verstand einzuschalten (was offensichtlich völlig aus der Mode geraten ist).

Auf Seite 58 steht zum Beispiel:

„Unsere Sinnesorgane nehmen jede Sekunde eine unvorstellbar große Menge an Informationen auf: circa eine Milliarde Bits, das entspricht der Information von 125 Büchern. Von dieser Menge an Informationen filtert das Gehirn zunächst über 99 Prozent heraus. Es verarbeitet lediglich drei Millionen Bits weiter, das sind etwas weniger als 200 Buchseiten pro Sekunde. Diese Informationen werden größtenteils unbewusst verarbeitet, bewusst wird uns davon wiederum nur ein winziger Teil: etwa 100 Bits, das entspricht einem kurzen Satz mit zwölf Zeichen. Es kann aber auch weniger sein.“

Zwölf Zeichen. Das waren jetzt aber mehr. Was ist ausgefiltert worden?

Louisianamoos. Muss man haben.

Der liebe Professor erklärt in dem Buch, warum uns das Unterbewusste (er nennt das bewusst so in Abgrenzung zu Sigmund Freud) krank machen kann oder zu falschen Entscheidungen/Einschätzungen verleitet, warum wir so schwer etwas hergeben können, wenn wir es einmal haben (Materielles ebenso wie Meinungen) und warum wir so leicht manipulierbar sind. Wir tendieren dazu, uns der Gruppe/Sippe anzupassen und können schwer mit Veränderungen umgehen. Wir können sogar falsche Erinnerungen von Erlebnissen, die nie stattgefunden haben, abspeichern.

Immerhin macht Mut:
„Tatsächlich sorgt das Unterbewusste stets dafür, dass die Einstellung folgt, sobald man sein Verhalten ändert.“

Und einen Tipp hat der Professor auch für uns.
„… ist der vielleicht wichtigste Tipp dieses Buches: Akzeptieren Sie sich bedingungslos als würdevollen, vollwertigen Menschen.“

In diesem Sinne …

Ich achte nicht auf die Vernunft. Die Vernunft empfiehlt immer das, was andere gerne möchten.

Elizabeth Gaskell

Ausblicke mit Einsichten?

Es lebe die Handarbeit!

Sollen bestimmte (Werte, hätte ich beinahe gesagt) „Dinge“ nicht untergehen: Weitsicht, Solidarität, Verstand, Humanität, Warmherzigkeit, Verbindungen, Verständnis, Verzeihen, die Erde und und und … Darauf trinke ich. Prosit Neujahr 2024!

Kopfüber rein, Kopfunter auf der Suche …

Ich gebe zu …

Ich habe lange nichts geschrieben. Erstens: Alles, was man aufschreibt, muss zunächst einmal durch den Kopf wandern. Wenn da schon andere Völkerwanderungen unterwegs sind, bleibt kein Platz. Zweitens: Schreiben erfordert Zeit und Muße. Vor allem Zeit. Möglichst an einem Stück. Wenn die Zeit wegrennt, muss man erstmal versuchen sie aufzuhalten. Drittens: Man kann natürlich auch irgendeinen Blödsinn schreiben (wie jetzt). Möchte man aber nicht. Heißt, es wäre schön, wenn man ein Thema (oder was auch immer) findet, das einen selbst und vielleicht auch andere interessiert. Viertens: Vielleicht können manche Leute im Stehen/Gehen schreiben (diktieren?). Ich nicht. Ich muss sitzen. Ungesunde Haltung, nicht immer angezeigt. Fünftens (und dann höre ich auf): Man sollte sich auf das Schreiben fokussieren und nicht zwei Millionen andere Aktivitäten gleichzeitig absolvieren wollen. Tja.

Museum

Werbepause

Heute gibt es eine Werbeeinschaltung. (Muss ja auch mal sein).

Liegewiese. Die Frage ist, wielange ein Sommer hält …
Joel Sternfeld.

Ich war überrascht: Das Foto von Joel Sternfeld (USA) ist aus dem Jahr 1979! Es zeigt Solarzellen, die einen Pool aufheizen. Da kann man sich vorstellen, wie lange wir schon alternative Energiequellen (hätten) nutzen bzw. weiterentwickeln können … Aber vielleicht war der Plan „Sonne“ damals nur in Kalifornien in den Köpfen, bei uns fand man da vielmehr „Regen“. Das hat sich geändert. Ewige Sonne macht die Wüste. „American Prospects“, noch bis 21.4.2024 in der Albertina.

Anekdote am Rande (was den Wandel in den Köpfen angeht): Ich sagte/schrieb neulich: „Bei uns herrscht eine unerträgliche Hitze“. Antwort: „Dann genieße das schöne Wetter.“

Monarchfalter

Es fing so an: Ich habe ein paar Samen geschenkt bekommen mit den Worten: Das ist die Pflanze, von der sich Monarchfalter ernähren. Du wirst viele Monarchfalter haben.

Gut. Wer will keine schönen Schmetterlinge im Garten haben?

Ich stand noch unter dem Eindruck von T.C. Boyle „Blue Skies“, in dem der Monarchfalter überhaupt als DER Edelfalter schlechthin beschrieben wird, hinter dem die Naturschützer her sind. (Übrigens: Lektüre empfehlenswert. Grausam, aber gut).

So. Ich habe also die Samen eingesetzt. Und siehe da! Bald danach spitzten ein paar Triebe aus der Erde, die sich sehr bald zu einem kleinen Pflänzchen entwickelten, bzw. mehreren. Und dann. Dann kamen die Monarchfalter. Die großen. Sie schwirrten herum, kreisten um die anderen Pflanzen, um sich dann gezielt auf meine kleine, gerade erst die Welt erkundende Monarchfalter-Pflanze zu setzen. Das ist ja noch ganz schön. Als die ersten Löcher in den Blättern auftauchten, bekam ich Angst um meinen Zögling. Und da war sie. Die Raupe des Monarchfalters. Lustig, gestreift. Absammeln? Umbringen? Fressen lassen?

Die Raupen fressen die Pflanze völlig kahl, verpuppen sich dann irgendwo an einem schönen schattigen Plätzchen, die Pflanze treibt wieder aus. Sagte man mir.

Aber so eine kleine zarte Pflanze kahlfressen lassen? Erholt die sich je wieder?
Langsam interessierte mich beides. Die Pflanze und der Falter.

Meine Pflanze heißt laut App (ja, ich habe eine Pflanzen-App!) Indianer-Seidenpflanze (müsste heutzutage sicher umbenannt werden, Indianer sind ja out), latein: „Asclepias curassavica“. Stutzig machte mich, dass es ein Hundsgiftgewächs ist. Witzig, dass man ausgerechnet einen Hund, den besten Freund des Menschen, für etwas Böses hernimmt: Hundstage (scheißheiß), hundsgemein (besonders gemein) etc. In diesem Sinne ist es wohl gemeint, Hundsgift. Und da lese ich, dass die Seidenpflanze giftig ist. Zumindest für Säugetiere wie den Menschen (blockiert Natrium-Kalium-Pumpe bzw. die Reizweiterleitung zu den Nervenzellen und in hoher Dosis führt es zum Herzstillstand – wirklich hundsgemein). Nicht so für den Monarchfalter. Den macht das Gift eher immun gegen Fressfeinde und stärkt ihn. Seine Muskeln sind so stark, dass er sogar bis 3.600 Kilometer wandern kann! Ein Wanderer. Also, der Wanderfalter kommt eher in den USA vor – diese wandern bis nach Mexiko (bei den Menschen ist es umgekehrt – die wollen von Mexiko in die USA). Ein Wanderfalter also! Angeblich ist der Monarchfalter der am besten erforschte Falter überhaupt. Allein der Wiki-Eintrag ist endlos. (Gerne nachsehen).

In den USA wird die Seidenpflanze eher als Unkraut angesehen und mit Gift bekämpft. Da sich der Monarchfalter aber vornehmlich von Wolfsmilchgewächsen (auf den Kanaren und Madeiera Euphorbia mauretanica) und Seidenpflanzen (es gibt verschiedene Arten) ernährt, rottet man damit auch die Lebensgrundlage der Falter aus. 2010 ist angeblich die Population derart eingebrochen, dass die Umweltschützer Alarm schlagen.

Segen oder Fluch?

Aber der Monarchfalter hat noch eine andere Seite. Die Weibchen sind größer und prächtiger, die Männchen etwas kleiner. Dafür haben sie ein merkwürdiges Gehabe bei der Paarung. Sie stürzen sich auf die Weibchen und können diese festhalten! (Habe ich noch nicht beobachtet, stelle ich mir lustig vor). Miriam Rothschild (wer immer das ist, selber googeln) nannte ihn deshalb 1978 ein „Chauvinisten-Schwein“. Naja. Wiki-Wissen.

Sie verblassen und sterben nach der Eiablage.

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/schmetterlinge-raetsel-um-monarchfalter-geloest-a-994823.html?sara_ref=re-xx-cp-sh

Sommerloch

Bevor es furchtbar wird, erstmal ein Nachtrag. Ich glaube, das kennt ihr noch nicht:

playa pleasure

La Gomera, die Bananen … Republik (?).

Die kleine Atlantik-Insel wird derzeit malträtiert. Zuerst gab es einen 100%igen Stromausfall auf der ganzen Insel. Je nach Ort, 2-3 Tage lang. Es funktionierte nur das Krankenhaus, der Hafen und der Flughafen. Die haben offensichtlich ein Notstromaggregat. Sonst war alles finster. Kein Handy aufladen, keinen Sprit tanken, teilweise kein Wasser (Pumpen liefen nicht!), keine Kneipe, kein Essen, kein Kaffee. Das Zeug in der Tiefkühltruhe vergammelt, die Supermärkte und Restaurants dürfen ihre Waren wegschmeißen. Touristen sind abgereist (das Schiff fuhr ja!).

Unsere Regierung spricht ständig von alternativer Energie (seit neuestem), baut ein Windrad nach dem anderen in die Gegend, „nachhaltiges La Gomera“, Biospähren-Reservat und was weiß ich. Aber unser ewig altes Kraftwerk (Öl), völlig überholt, immer noch in Funktion, wird offensichtlich nicht gewartet, Brand im Technikraum, Generatoren hin. Ende. Black-out. Total. Null-Energie, wie sie hier sagen. Sogar der SPIEGEL brachte eine Nachricht.

Plan B für Notfälle? Fehlanzeige! Back-up? Achwo! Es mussten Generatoren aus La Palma angekarrt werden, die notdürftig die Versorgung wieder hergestellt haben. Tagelang zittert man, ob es Strom gibt oder nicht, die Straßenbeleuchtung bleibt vorsichtshalber ausgeschaltet. Vorausschauende Politik, wahrlich.

Es geht noch schlimmer

Der neueste Clou unserer intelligenten Regenten aber ist: Bäume absägen. Mitten im Sommer, in der größten Hitze. Überall auf der Welt werden Bäume geschützt und gepflanzt, auf La Gomera werden sie ohne Not einfach gefällt. Die neu gewählte (!!!) Stadtverwaltung (eine Frau als Bürgermeisterin, man glaubt es nicht) hat offensichtlich beschlossen, alle Bäume umzubringen, die nicht „von hier“ sind. Ihnen ist aber nicht aufgefallen, dass weder Kartoffeln, Tomaten, noch Bananen von hier sind. Und viele Menschen auch nicht. Und sie fangen mit den schönsten Bäumen an, die wir haben: den Flamboyants. Eine Augenweide, bewundert und fotografiert von den Touristen, spenden sie Schatten, verbessern das Klima, absorbieren CO2, die Blüten ziehen Insekten an, sind eine Wohltat fürs Atmen und gegen die Hitze etc. Ich könnte eine lange Liste mit den Vorzügen der Bäume aufzählen. Aber das ist ja überall auf der Welt bekannt. Nur bis nach La Gomera hat sich das nicht herumgesprochen.

Schattenspender, selbst bei Autofahrern beliebt

Flamboyant, auch Flammenbaum, ist aus der Familie der Johannisbrotgewächse. Ursprünglich aus Madagaskar, ein Exot aus den Tropen und Subtropen, der sich auf La Gomera wunderbar entwickelt. Ein Baum, der Schatten und atembare Luft spendet in einer Gegend, wo sonst nur die Sonne brennt und der Wind pfeift. Diese Bäume wurden vor 37 Jahren gepflanzt. Es war eine gemeinsame Aktion der Lehrer mit den Schülern, wohl um die Hitze zu bekämpfen und ein wenig Schatten zu haben. Fast einen Kilometer lang war die Straße mit den Bäumen geschmückt …

Und so sieht die Zukunft aus

Sieht doch gleich ganz anders aus, und so authentisch. Die Gemeinde plant, „autóctonos“ zu pflanzen. Also, Bäume von hier: Acebuches (Ölbaum) und Almácigos (Weißgummibaum). Es gibt ein kleines Problem: diese heimischen Sorten kommen aus der mittleren Gebirgslage, sind keine Küstenpflanzen, brauchen also viel Wasser (im Gegensatz zu den Flamboyants, die holen sich das mit den tiefen Wurzeln aus dem Grundwasser). An Bewässerung wurde auch eher nicht gedacht. Ich gebe den Neulingen mitten im Sommer ein paar Wochen. Dann werden sie vermutlich Pflanzentröge mit Plastikblumen hinstellen … Oder nix. So wie jetzt in der Fußgängerzone:

Herzlichen Glückwünsch an alle Verantwortlichen für diesen Frevel an der Umwelt, an den Bewohner:innen, am Klima, am gesunden Menschenverstand und unsere zukünftigen Generationen. Ich bin fassungslos.

Ach ja … wo ist eigentlich das Holz hingekommen?

Sofort in kleine Stücke zersägt und abtransportiert.

Yvonne ist einsam

Es war nicht klar, ob Yvonne trauerte oder einfach nur traurig war. Ihre Gesichtszüge waren schwer zu interpretieren. Aber es war deutlich zu spüren. Einsamkeit. Das Gefühl, das sich einstellt, wenn man alleine ist. Manchmal. Und bei manchen. Denn: Sich einsam fühlen kann man auch in Gesellschaft. Aber das war´s wohl nicht. So kompliziert war sie dann doch nicht gestrickt. Ihre ganze Körpersprache drückte es aus: Ihr fehlte ihr Partner. Sie waren jahrelang zusammen und nun war er weg. Sie verstummte nach und nach, kein freudiger Laut kam mehr aus ihrer Kehle. Sie fing an, sich selbst zu verletzen. Früher quatschte sie herum, diskutierte lautstark mit ihrem Lebensgenossen, auch wenn wir das nicht verstanden. Sie plapperte gerne nach, schien vergnügt. Jetzt sieht sie mich schräg von der Seite an, als wolle sie mir einen Vorwurf für ihre Situation machen. Sie nickt auffordernd mit dem Kopf. „He, du da, mach´ endlich was, siehst du nicht, dass es mir schlecht geht?“. Und dann ein Schrei, herzzerreißend. Ja. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen. Was sollte ich tun? Meine Versuche sie aufzuheitern, waren kläglich gescheitert. Soziale Wesen sind nunmal soziale Wesen. Und einen neuen Lebensgefährten herbeizaubern, konnte und wollte ich nicht. Meine Anwesenheit genügte ihr nicht, das stimmte auch mich traurig.

Bis ich mir Rat holte.

Die Lösung war ganz einfach. Da hätte ich draufkommen können. Aber irgendwie gingen die zwei Welten in meinem Kopf nicht zusammen. Technik und Tier. Manchmal ist es gut, jemanden um Rat zu fragen. In diesem Fall für uns beide. Also kaufte ich ein günstiges Tablet, richtete eine Verbindung zu einer Videokonferenz ein und los ging´s. Jetzt hatte sie Gesellschaft. Wenn auch virtuell. Sie konnte das Gerät selbst bedienen, ich staunte. Und sie plauderte in den Bildschirm hinein, hüpfte vergnügt herum und war nicht zu bremsen. Am anderen Ende der Leitung vergnügte sich ein Artgenosse. Er hieß Artur und lebte in der Tierhandlung. Loro, ein Papagei. Vielleicht tauschten sie gerade ihre Erfahrungen in dieser seltsamen Welt der Menschen aus, die trotz aller Annehmlichkeiten (Essen gratis) grausam war, obwohl die Menschen immer die beste Absicht beteuerten – und träumten von einer gemeinsamen Zukunft, Familiengründung und ein gemeinsames Leben im Dschungel. Den konnte man doch vielleicht als Hintergrund einstellen, oder?

***

PS: Papageien (Grauer Loro, Kakadu) werden depressiv, wenn sie nicht unter ihresgleichen leben, alleine sind. Sie entwickeln seltsame Verhaltensweisen und psychische Störungen. Wissenschaftler:innen in den USA (um Rebecca Kleinberger) haben herausgefunden, dass Dreiviertel der 18 getesteten Tiere positiv auf Videokonferenzen reagieren. Wenn die/der andere aus dem Bild läuft, sehen sie hinter dem Gerät nach, wo sie/er abgeblieben ist. Nach einer Einführung konnten die Vögel die Chats selbständig starten, indem sie mit dem Schnabel das Tablet bedienten. Sie können auch Anrufe ablehnen (!) Sie plaudern und singen koordiniert. Das vermindert Stress und hebt die Stimmung. El País 6. Mai 2023.

Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.

Joachim Ringelnatz

Deshalb gleich hinterher der Buch-Tipp
Mariana Leky: Kummer aller Art. Dumont. (Ich finde keine Jahresangabe!?)
Es sind alles kürzeste Kolumnen, die in „Psychologie Heute“ erschienen waren.
Sehr zu empfehlen. Klug, witzig, toll geschrieben.

Ich hab´s versucht

Links Original Miró, derzeit in der Albertina zu bewundern (von vielen Menschen, deshalb konnte ich das Foto nicht frontal aufnehmen) und rechts die Kopie auf meinem armen Schmuckkasten.

Ich wollte hier eigentlich erklären, warum ich Fan von Kopien und von Wiederholungen bin, aber das muss ich verschieben.

Eben.

Evolution vorwärts oder rückwärts?

„Kreative Prozesse beginnen bekanntlich damit, dass man verunsichert ist, dass man keine eindeutige Lösung findet und dass man diese Verwirrung aushält.“

Verena Kast (siehe unten)

Was mich verwirrt? Technik.

Mein Mobiltelefon möchte mich nicht mehr über neue Nachrichten informieren. Obwohl ich alle Einstellungen überprüft habe. Dafür behauptet es, meine ID würde gerade von einem neuen Handy verwendet. Ein Anruf aus Tansania geht ein. Und eine Spam-Mail mit übelsten Unterstellungen und Erpressungsversuchen (keine Details, diese Bilder möchte man nicht im Kopf haben).

Und dann die KI (künstliche Intelligenz), AI (artificial intelligence). Ich staune.

Erst lese ich, dass die Algorithmen mittlerweile so weit sind, dass sie Stimmen täuschend echt synthetisch herstellen können. So, dass die Emotionen, die mit der Stimme verbunden sind, mit übertragen werden. Aus mit der blechernen Computerstimme. Verschiedene Firmen (Respeecher, Ukraine; Voikers) benutzen das für Filme, Podcasts, Hörbücher – aber wenn man das weiterdenkt, kann man jede Stimme klonen … und …  Am weitesten/perfektesten ist man in Englisch. Man rechnet damit, dass das „Audio“ (wie man z.B. bei WhatsApp sieht), die Sprachnachrichten, in den kommenden Jahren zunehmen werden … Heute haben podcasts global 621 Millionen Zuhörer:innen im Jahr. (Markt: 1 Mrd. Dollar).

Also: sprechen statt schreiben.  (El País 29.5.2022)

Auf der anderen Seite: Sprechen stirbt auch aus. Also, selber sprechen, zum Beispiel am Telefon. 80% der jungen Menschen (zwischen 14 und 24) haben Angst, am Telefon zu sprechen (El País 28.1.23, la extinción de las llamadas). Die direkte Stimme ist impaktstark. Und: Man muss direkt/sofort reagieren. Damit sind offensichtlich viele überfordert (wie überhaupt die Sozialphobien zunehmen). Ich schicke auch lieber schnell eine Nachricht als dass ich anrufe! Man stört nicht (denkt man) und zwingt den anderen nicht zu einer sofortigen Reaktion (glaubt man).

Angeblich kostet ein Anruf zuviel Zeit, sagen 75% der Jugendlichen (Umfrage 2022 „Generation Mute“ Millennials Phone Call Statistics de BankMyCell), 64% wollen den Kontakt mit lästigen Mitmenschen vermeiden, 80% fürchtet Störungen und „verbale Konfrontationen“. Bei einem Telefonat weiß man vorher nie, wie lange es dauern wird – bei einer Sprachnachricht sieht man es vorher. Dabei ist erwiesen, dass ein (kurzer) Anruf und direkter Kontakt genau diese Ängste besänftigt. Telefonieren macht ein wenig glücklicher. Die Stimme des/der anderen zu hören, beruhigt. Ein Gespräch von ca. acht Minuten kann therapeutische Wirkung haben (Studie 2021, Uni Harvard). Vorschlag: vorher ausmachen, wann/ob man telefonieren will und wie lange (acht Minuten, haha). Soziale Interaktion ist kein Luxus, sondern wichtig für das mentale Wohlbefinden, physische Gesundheit und trägt zu einem langen Leben bei, sagt die Harvard-Studie. Eine andere Harvard-Studie (Thema Glück) sagt, dass Menschen in „einsamen“ Berufen, also ohne Kolleg:innen, unglücklicher sind. Kolleg:innen machen glücklich. Und – statt dass die anderen einen vom Arbeiten abhalten, zeigt sich, dass, eher im Gegenteil, man produktiver arbeitet. Also: Gespräche müssen her! (Voraussetzung: man wird nicht gemobbt)

Papier und Stift?

Gut, am Rande: verschiedene Studien legen ebenso nahe, dass der Kontakt mit Papier und Stift in manchen Fällen besser ist als das iPad oder der Computer … Wir scheinen in einer Übergangsphase des Physischen zum Digitalen zu sein.

Analoge Technik ist ja gerade wieder „in“: Platten, Kamera mit Film usw. Also: Stift in die Hand nehmen, macht uns produktiver (ach, deshalb ist mir nichts eingefallen!).

Und ein haptischer Kalender macht die Daten einprägsamer. Kommt das Revival der gedruckten Kataloge? Man weiß ja, dass der Inhalt von Büchern, die man digital liest, nicht so gut haften bleibt als hätte man das Buch in der Hand gehabt … Und Erinnerung läuft über Multisensorik. Heißt: je mehr Sinne beteilgt sind, umso besser erinnern wir uns später daran. Aber wer weiß, wie lange noch … denn jetzt gibt es ja, tata! ChatGPT.

ChatGPT

ChatGPT nimmt uns jetzt auch das Denken ab. Hat man eine Frage, googelte man. Bisher. Und man musste die Zusammenhänge selbst herstellen bzw. schreiben. Jetzt gibt man die Frage bei ChatGPT ein und bekommt wohlformulierte Sätze geliefert: Lehrer:innen suchen ihre Aufgabestellungen für Prüfungen mit ChatGPT und die Schüler:innen und Student:innen schreiben ihre Arbeiten damit. (Ich übertreibe). Plagiat? Schwer festzustellen. ChatGPT liefert immer neue Antworten/Sätze/Formulierungen. Je nach Fragestellung, sprich: Prompt. Prompt ist die Befehlszeile für das Programm, wer´s noch nicht weiß. Aber mittlerweile ist das ja Thema in allen Gazetten.

Ganz zu schweigen von den Programmen, die Texte in Bilder umwandeln (ChatGPT und Dall-E bzw. Midjourney). Wenn man damit allerdings wirklich gute Bilder rauskriegen will, erfordert das auch viel Wissen, Gespür und Arbeit. Prompt Writer sind gefragt und verdienen viel Geld. Neben dem Original von Vermeer Die Frau mit den Perlenohrringen im Rijksmuseum in Amsterdam hängt angeblich seit kurzem eine „Kopie“, mit KI generiert …

Ganz normal mit einer Kamera aufgenommen …

Gut, aber zurück zu den Texten. Ich habe ChatGPT gefragt:

„Schafft ChatGPT das Denken ab?“
Antwort:
„Nein, ChatGPT schafft das Denken nicht ab. ChatGPT ist ein computergestütztes Sprachmodell, das darauf trainiert wurde, menschenähnliche Antworten auf Eingaben von Benutzern zu generieren. Obwohl ChatGPT in der Lage ist, menschenähnliche Antworten zu generieren, hat es keine eigene Intelligenz oder ein eigenes Bewusstsein.

Das Denken bleibt ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Wesens, einschließlich der Kreativität, Vorstellungskraft und Reflexion. ChatGPT kann als ein Werkzeug zur Unterstützung des menschlichen Denkprozesses genutzt werden, indem es Informationen liefert, Denkanstöße gibt oder die Gedanken von Benutzern herausfordert. Jedoch kann ChatGPT das Denken nicht ersetzen, da es selbst nicht über eine eigene Perspektive oder eigene Erfahrungen verfügt, die notwendig sind, um komplexe Entscheidungen zu treffen oder kreativ zu sein.

Es ist wichtig zu betonen, dass ChatGPT auch seine Grenzen hat und nicht in der Lage ist, komplexe Aufgaben zu lösen oder menschliche Fähigkeiten wie Emotionen, Intuition oder Empathie zu replizieren. ChatGPT ist ein Werkzeug, das uns helfen kann, aber es ist immer noch der menschliche Geist, der die kreativen und komplexen Denkaufgaben löst.“

Zitat Ende. (Danke, lieber Hans). So, jetzt wissen wir´s. Werbetexter könnten die Ergebnisse von ChatGPT nicht einsetzen. Zu lang. Zu geschwafelt. Man müsste den Prompt ändern. Vielleicht in: Sag mir das in kurzen Worten für Werbetexte. Das habe ich (noch) nicht probiert …

Dann, natürlich, nochwas

Es wird viel geredet über die Ethik der Künstlichen Intelligenz. Eine neue Ethik muss her! Im „Le Figaro“ hat Eric Sadin einen sehr emotionalen Artikel veröffentlicht (Abdruck El País 26.2.23), in dem er darauf hinweist, dass uns jetzt die KI vorschreibt, wie wir unsere Worte wählen und Sätze formulieren sollen. Er meint, wir würden von der Wirtschaft ständig manipuliert bzw. auf einen von ihr bestimmten Weg geführt und wir fänden das „ganz normal“. Wir (die Gesellschaft) reagierten nur noch, die „Industrie“ zwingt uns dauernd was auf (z.B. ständige Updates, Anmerkung von mir). Nennt sich Innovation. Ziel: Geld lukrieren. Unsere Fähigkeiten uns auszudrücken und unsere Autonomie gehen in dem Maße flöten wie die wachsende Automatisierung fortschreitet. Ohne dass jemand einschreitet (Gesetze). Meint Sadin.

Tja, und was denken wir?

Wenn Chat GPT einen Aufsatz in eine Power-Point-Präsentation verwandeln kann – wunderbar. Her damit! Es ist wie bei vielem (Fernsehkonsum für die Alten, Internetkonsum für die Jüngeren): Es kommt drauf an, was man draus macht. Kluger Einsatz von Medien erfordert allerdings eine gewisse (eigene) Intelligenz und Bildung (so wie Humor auch). ChatGPT selbst warnt ja davor, dass man ihr nicht 100% trauen kann und es auch fehleranfällig sei. Das zu überprüfen, müsste dann jeder selbst übernehmen. Wenn man natürlich das Hirn abschaltet (was gerade modern ist), bleibt nur … die Emotion. Und wo Emotionen hinführen, wissen wir …

Eine Emotion: Angst.

Hier ein kluger Podcast mit Verena Kast. Sie hat schon in den 90er Jahren ein Buch geschrieben „Vom Sinn der Angst“. (Herder, Freiburg (Basel, Wien), 8. Auflage 2021. Jetzt aktueller denn je.

https://podcasts.apple.com/de/podcast/wdr-5-das-philosophische-radio/id255571403?i=1000575403051

Buch-Tipp:

Wer etwas über „Individualismus“ erfahren will:
Rüdiger Safranski. Einzeln sein. Eine philosophische Herausforderung. Hanser Verlag, München, 2. Auflage 2021.
Liest sich gut, man lernt eine Menge. Über Geschichte und Philosophie.

Humor ist die Medizin, die am wenigsten kostet und am leichtesten einzunehmen ist.

Giovannino Guareschi

Deshalb, bisschen Kanaren-Rap:

Die unerträgliche Schwere der Stille

Es ist still. Ich meine still, richtig still. Lautlos. Man hört nichts. Kein Rauschen. Keine Menschen. Kein Hundegebell. Stille ist unheimlich. Schwer auszuhalten. Man möchte nachsehen, ob die Welt noch steht. So richtig still ist es meistens nachts. Natürlich nur dann, wenn man nicht in einer Stadt lebt, die nie schläft. Da gibt es zumindest ein Grundrauschen (Verkehr, Autobahn), Menschen sind unterwegs, die U-Bahn fährt.  

Für solche Menschen scheint es nahezu unerträglich zu sein, wenn sie nichts hören. Nichts. Deshalb gibt es auf You Tube (oder wo sonst auch immer) „brown noises“. Das hat angeblich nichts mit der Farbe Braun zu tun (ich denke sofort an eine braune Suppe), sondern geht zurück auf den bedeutenden schottischen Botaniker Robert Brown. Wikipedia:

„Im Jahr 1827 machte Brown beim Mikroskopieren seine bekannteste Entdeckung, die Brownsche Bewegung. Diese unaufhörliche und regellose Bewegung kleinster, in Flüssigkeit schwebender Teilchen wurde erst 1905 von Albert Einstein und 1906 von Marian Smoluchowski als physikalischer Prozess aufgeklärt, der auf zufälligen Häufungen molekularer Stöße aus verschiedenen Richtungen beruht.“

So.

Ich weiß nicht, ob das die Pflanzen waren, die sich da bewegt haben.

Die Geräusche hören sich an wie kontinuierlich fallender Regen oder … (selber suchen).

Wiki: „Die Brownsche Molekularbewegung entspricht zum Beispiel einem 1/f²-Rauschen. Trotzdem ist, da auch andere Arten von Rauschen mit Farben bezeichnet werden („weißes Rauschen“ oder 1/f-Rauschen als „rosa Rauschen“), auch die Bezeichnung braunes Rauschen verbreitet.

Also.

Die Spanier machen es sich einfach, wie immer. Sie übersetzen einfach „ruido marrón“ (braunes Geräusch) und schon ist Mr. Brown aus dem Spiel.

Früher hat man sich die Goldberg-Variationen angehört, wenn man sein Gehirn auf Ruhemodus stellen wollte. Ich glaube, es sind die Delta Wellen, die auf der niedrigsten Frequenz „arbeiten“, im Bereich von 0-3 Hz. Dort erreicht man den unbewussten Bereich – wie im traumlosen Tiefschlaf, wo die körperliche Regeneration stattfindet.

Heute schaltet man You Tube oder Spotify an und hört „brown noises“. Um besser zu lernen, um sich zu konzentrieren, das Baby in den Schlaf zu wiegen, zu meditieren oder um einschlafen zu können. Zadie Smith, die bekannte Schriftstellerin, benutzt angeblich brown noises zum Schreiben.

Wiki: „2007 und 2020 wurde eine positive Wirkung von Rotem Rauschen in Zusammenhang mit ADHS und Produktivität am Arbeitsplatz publiziert und wurde seit 2022 auf sozialen Medien viral verbreitet.“

Placebo-Effekt nicht ausgeschlossen. Man hört eben andere, ablenkende Geräusche nicht und der Tinnitus wird Nebensache.

Auf TikTok hat der Hashtag „brown noises“ mehr als 86 Millionen klicks.

Ich sage jetzt dazu nichts mehr. Ich lausche der Stille.

Güte ist, wenn man das leise tut, was die anderen laut sagen.

Friedl Beutelrock, wer immer das war/ist
Jetzt kann ich´s ja veröffentlichen …

Endlich habe ich ein Büchlein von Annie Ernaux in die Finger bekommen. 74 Seiten präzise Literatur. Das war der Anfang:
Annie Ernaux: Das andere Mädchen. Bibliothek Suhrkamp. (Aus dem Französischen von Sonja Finck)
(© 2011, Nil Ed. Paris) Erste Auflage 2022, Suhrkamp Berlin, 2022.
Ich werde weitermachen.

Habe Hoffnungen, aber niemals Erwartungen. Dann erlebst du vielleicht Wunder, aber niemals Enttäuschungen.

Franz von Assisi